Early Jazz. A Concise Introduction from Its Beginnings through 1929
Fumi Tomato
Albany 2024 (State University of New York Press)
232 Seiten, 33,95 US-$
ISBN: 978-1-4384-9637-5
Early Jazz, der frühe Jazz also, schreibt Fumi Tomita in seinem Vorwort, sei der für heutige Hörer:innen vielleicht fremdeste Stil der Jazzgeschichte, zugleich sei er gerade deshalb faszinierend, weil man Aufnahme für Aufnahme nachvollziehen könne, wie sich die Musik und ihr ästhetischer Kontext veränderten. Im Vorwort erklärt Tomita das Konzept seines Buchs: Er wolle Gunther Schullers 1968 veröffentlichtes Early Jazz auf den neuesten Stand bringen, es ergänzen und dabei die Forschung der letzten 50 Jahre mit einbeziehen. Wo Schuller Jazz vor allem als eine Kunstform verstanden wissen wollte, schreibt Tomita, sei sein eigenes Anliegen breiter, berücksichtige sowohl die künstlerische als auch die kommerzielle Seite der Musik. Dieser Ansatz erlaube ihm, auch Künstler:innen zu berücksichtigen, die sonst kaum in den Fokus der Jazzgeschichtsschreibung rückten. Viele der renommiertesten Musiker:innen hätten etwa ihr Einkommen immer schon durch kommerzielle Gigs ergänzt, Gigs, die allerdings selten unter den Genrebegriff Jazz fielen.
Tomita teilt sein Buch in Groß- und Kleinkapitel auf. Die Großkapitel befassen sich mit „Ragtime and Traveling Shows“, „The Blues“, „New Orleans and Early White Bands“, King Oliver and Jelly Roll Morton“, „The New York Scene: The Small Groups“; „Stride Piano“; „The New York Dance Band Sound: From James Reese Europe to Duke Ellington“; „Louis Armstrong“; „The Chicagoans and Bix Beiderbecke“; „Other Pioneering Soloists“; „Territory and Other Bands“; „Vocal Jazz“; „Jazz around the World“. Die Kleinkapitel darin umfassen zwischen einer und drei Seiten und versuchen unterschiedliche Aspekte zumindest schlaglichtartig zu beleuchten.
Während Schullers Buch eine Art akademische Aufarbeitung der frühen Jazzgeschichte in ihrer Gesamtheit versuchte, einschließlich technischer Hinweise auf musikalische Besonderheiten oder Vermutungen über ästhetische Entscheidungen, liest sich Tomitas Early Jazz eher wie ein „text book“, ein Buch für Studierende, in dem die Entwicklung des Genres kontextualisiert und auf unterschiedlichste Einflüsse hingewiesen wird. Das macht er knapp, konzis, mit Hinweisen auf konkrete Aufnahmen, die sich im Internet suchen lassen. Statt Notenbeispielen, wie sie Schuller bevorzugte, hat Tomita sich für Hörcharts entschieden, also tabellarischen Verlaufsbeschreibungen, die das Ohr seiner Leser:innen auf die Form oder auf besondere musikalische Ereignisse in den Aufnahmen lenken sollen. In kurzen Kapiteln stellt er einzelne Künstler:innen heraus, fokussiert dabei nicht so sehr auf biographische, stattdessen vor allem auf musikalische Aspekte ihrer Karriere. Wo Schuller allerdings versuchte, möglichst alle Perspektiven der musikalischen Persönlichkeit mithilfe von Beispielen zu beleuchten, beschränkt Tomita sich auf ausgewählte Stücke, ein, höchstens zwei Titel pro Musiker, die er eingehender beschreibt.
Eines der ungewöhnlicheren Unterkapitel ist vielleicht das über „‚Gaspipe‘ Clarinet“, Novelty-Klarinettisten also, die auf ihren Instrumenten seltsam-zirzensische Töne hervorbrachten und die von den meisten Jazzautoren kaum beachten wurden. Novelty-Spielweisen und Novelty-Instrumente seien in der Frühzeit des Jazz durchaus üblich gewesen, erklärt Tomita und hält es für wichtig sich solcher Aspekte genauso bewusst zu sein wie beispielsweise des Diskurses um Jazz als „ernsthafte“ Kunstmusik, wie er sich in Paul Whitemans „Experiment in Modern Music“-Konzert widerspiegele. Auch auf die Bedeutung von Musikerinnen weist Tomita hin, benennt Bluessängerinnen, bekanntere Künstlerinnen wie Lil Hardin oder Lovie Austin, aber auch die zu Beginn des 20sten Jahrhunderts populären, in der Aufnahmegeschichte des Jazz aber kaum präsenten All-Female Bands. Ein abschließendes Kapitel überschreibt er „Jazz around the World“, meint damit aber einzig den Jazzexport US-amerikanischer Musiker:innen nach Europa und Asien.
Alles in allem ist Tomitas Buch gut geeignet als „text book“, als Begleitung zum Beispiel für einen Kurs über frühen Jazz. In der Kürze des Platzes gelingt es Tomita Zusammenhänge zu erklären und auf unterschiedliche Perspektiven aufmerksam zu machen. Wünschenswert wäre ein Anhang, der zu einer tieferen Beschäftigung mit einzelnen dieser Perspektiven einladen würde. Den Vergleich mit Schullers Early Jazz hätte Tomita nicht bemühen müssen; Schullers Buch bleibt bei allen Mängeln ein Standardwerk zum Thema. Tomitas Buch allerdings bietet zugänglichere Erklärungen über Kontexte der musikalischen Entwicklung und eignet sich damit besser für den schnellen Überblick.
Wolfram Knauer (August 2024)