Buchbesprechungen

Jazz Radio America
von Aaron J. Johnson 
Urbana/IL 2024 (University of Illinois Press)
312 Seiten, 29,95 US-Dollar
ISBN: 978-0-252-08830-8

In Jazz Radio America befasst sich Aaron J. Johnson mit der Geschichte der Programmierung von Jazz im kommerziellen wie im nichtkommerziellen Rundfunk der Vereinigten Staaten. Er beleuchtet am Rande die Zeit zwischen 1926 und 1952, als die großen Radio-Netzwerke dominierten, die ein riesiges nationales Publikum erreichten, vor allem aber die Zeit danach, in der vor allem lokale oder auf eine spezifische Hörerschaft gezielte Sender das Bild bestimmten. Seine Arbeit handelt von der Beziehung zwischen Künstler:innen, Förderer:innen, Institutionen, Hörer:innen und anderen, die dazu beitragen, dass Jazz im Radio präsentiert wird. Sie untersucht, welche Arten von Jazz gesendet werden und welche Auswirkungen die Rundfunkpräsenz auf die Arbeit von Musiker:innen hat. 

Er beschreibt die unterschiedlichen Arten von Jazzprogrammen im nicht-kommerziellen US-amerikanischen Rundfunk und diskutiert, wieso das Genre immer weniger Unterstützung bei Sendern findet, die finanziell von ihren Hörern getragen werden. Er erklärt, wie das Pendant zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, also die Anfang der 1970er Jahre gegründeten Public Radio Stations der USA, durch die Qualität ihrer Berichterstattung und Kulturprogrammarbeit so erfolgreich wurden, dass sie immer mehr Programm generieren mussten, was dazu führte, dass sie sich Berater suchten, die allerdings letztlich empfahlen, sich an Propgrammentscheidungen des kommerziellen Rundfunks zu orientieren. 

Johnson fragt aber auch nach den Personen hinter den Sendern, den Besitzern, Managern, Redakteuren also. Zahlreiche Public Radio Stations entstanden im Umfeld von Bildungs- oder Kultureinrichtungen und spiegeln deren Erwartungen oder kulturelle Haltung wider. Daneben gibt es Sender, die aus der Community erwuchsen und damit oft aus einer progressiven politischen Haltung heraus. Anhang konkreter Beispiele erklärt Johnson, inwiefern sich diese Haltung auch in der Programmphilosophie der Sender wiederfindet. Nebenbei diskutiert er auch die Rolle und den Einfluss von Jazz-DJs über die Jahre, Moderatoren, die einerseits über aktuelle Entwicklungen berichteten, sich dabei anderseits deutlich von eigenen persönlichen Vorlieben leiten ließen. 

Für europäische Leser:innen bräuchte Johnsons Studie oft Übersetzungshilfe – zu verschieden sind die Strukturen und Aufgaben insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern von denen eines privat oder durch Mitglieder finanzierten Systems wie in den USA. Tatsächlich kommt der einzige voll staatlich finanzierte US-amerikanische Sender, die Voice of America, in Johnsons Buch nur am Rande vor, sicher auch deshalb, weil er vor allem ins Ausland strahlte und im eigenen Land kaum zu hören war. 

Johnson endet mit einem Ausblick auf die Zukunft. Im kommerziellen Radio sei Jazz, von Ausnahmen abgesehen, nicht mehr zu hören. Tatsächlich habe sich mit der Digitalisierung des Lebens auch die Hörgewohnheit des Publikums verändert, dem im Prinzip egal sei, aus welcher Quelle die Musik kommt, die es rezipiert. Von seinen eigenen Studierenden wisse er, schreibt Johnson, dass angesichts der Angebotsvielfalt zwischen Spotify, Deezer, Apple Music oder Tidal kaum jemand in der jungen Generation noch eine klare Vorstellung davon hat, was „Radio“ eigentlich überhaupt bedeutet. Die Zukunft von Jazz im Internet, mutmaßt er, hängt davon ab, wie sich das Internet weiterentwickelt. Grundsätzlich biete das Web Musiker:innen die Möglichkeit, ein breiteres Publikum zu erreichen, sogar direkt anzusprechen. Es bleibe abzuwarten, inwieweit die bereits bestehenden Machtstrukturen in Bezug auf Musik (Spotify, Apple Music etc.) andere als die bislang existierenden Album- oder Playlist-basierten Programme entwickeln oder ob vielleicht gerade Nischengenres wie der Jazz dazu in der Lage sind, eigene Wege zum Kuratieren eines spannenden Programms zu gehen.

Wolfram Knauer (Januar 2025)


The Jazz Omnibus. 21st-Century Photos and Writings by Members of the Jazz Journalists Association
Herausgegeben von David R. Adler (ed.): 
Torrance/CA 2024 (Cymbal Press)
586 Seiten, 39,95 US-Dollar
ISBN: 978-1-955604-18-5

Sammelbände gehören nicht unbedingt zu meiner Lieblingslektüre. Wenn ich ein Buch zur Hand nehme, will ich nach Möglichkeit eine Geschichte lesen, aus einer Perpektive geschrieben, über ein spezielles Thema. Wenn überhaupt, dann nehme ich Sammelbände einzelner Autoren zur Hand (Whitney Balliett etwa oder Dan Morgenstern), Sammelbände über einen einzelnen Musiker (mit Essays beispielsweise über Duke Ellington oder Charlie Parker), Sammelbände in denen Perspektiven über ein Thema entwickelt werden (da gibt es diverse Oxford oder Cambridge Companions, aber auch die Darmstädter Beiträge gehören dazu, wenn ich auch gleich dazu anmerke, dass ich als ehemaliger Herausgeber dieser Reihe da etwas parteiisch bin). 

Von daher war meine erste Reaktion auf den „Jazz Omnibus“ (letzteres Wort steht im Englischen übrigens für Sammelwerke) ein wenig abwehrend. Wer will Beiträge von etwa 90 Autor:innen und Fotograf:innen lesen / betrachten, die jeder für sich stehen und kaum aufeinander Bezug nehmen. Dann aber hat David R. Adler (der übrigens ab 2025 die dann wiederaufstehende Zeitschrift Jazz Times als Herausgeber betreuen wird) den geschickten Schachzug getan, einen herausragenden Essay gleich an den Anfang zu stellen: Ted Pankens Feature und Interview mit Sonny Rollins, das den Saxophonisten als Musiker und Kollegen, als Bandleader und Zeitzeugen vorstellt, ursprünglich erschienen im Down Beat vom Dezember 2007. Damit sind wir dann auch gleich beim Konzept. Adler hatte im Auftrag der Jazz Journalists‘ Association Mitglieder dieses Vereins gebeten, bis zu drei Vorschläge für eigene Artikel einzureichen, aus der dann das Herausgeberteam je einen aussuchte. Einzige Vorgabe war, dass die Originalveröffentlichung in den 2000er Jahren stattgefunden haben musste. Keines der Kapitel ist also *neu*, sie stammen aus den Jahren 2004 bis 2023, wurden erstveröffentlicht in den großen Jazzzeitschriften (Down BeatJazz Times), in Tageszeitungen wie der New York Times oder dem Wall Street Journal, in Büchern oder auf Web-Blogs. Adler warnt gleich im Vorwort, dies sei kein umfassender Blick auf den Jazz des 20sten Jahrhunderts. Und Howard Mandel verweist in seiner Einleitung auf die vielen Themen, die hier überhaupt nicht angesprochen werden und macht dabei gleich eine Liste auf für mögliche künftige Folge-Bände. 

Natürlich hatte auch ich sofort eine „Mängelliste“ im Blick. Aus dem Inhaltsverzeichnis wurde schnell klar, dass der Jazz außerhalb der USA kaum vorkommt (von einem Kapitel über Jazzunterricht an einer japanischen High School mal abgesehen). 14 von 70 Autor:innen und 4 von 19 Fotograf:innen sind Frauen; immerhin ein wahrscheinlich realistisches Abbild der aktuellen Situation im amerikanischen Jazz-Journalismus. Und 17 der Beiträge befassen sich mit Musikerinnen oder Fragen um Geschlechtergerechtigkeit im Jazz. 

Die Herausgeber haben das Buch in sechs Themenbereiche aufgegliedert. Unter „Legends“ findet sich das bereits erwähnte Feature über Sonny Rollins, ein Gespräch das Michael Jackson 2023 mit Keith Jarrett führte, Jordannah Elizabeths Portrait der Pianistin Amina Claudine Myers, Nate Chinens Würdigung Sun Ras, Bob Blumenthals Plattentext für die Wiederveröffentlichung von Wayne Shorters „Night Dreamer“, ein Kapitel aus Stephanie Stein Creases Buch über Chick Webb, Bill Milkowskis Artikel über John Zorn zum 60sten Geburtstag des Saxophonisten, sowie Doug Halls Gespräch mit Wynton Marsalis. 

Unter „Seekers“ lesen wor Andy Seniors Besprechung eines Konzerts Cécile McLorin Salvants, Andrea Canters Rezension des Albums „Smash“ von Patricia Barber, David Adlers Portrait der Sängerin und Bassistin Meshell Ndegeocello, Debbie Burkes Gespräch mit der jüdischen Sängerin Hadar Orshalimy, Matty Bannonds Feature über die Saxophonistin Zoh Amba, Martin Johnsons Rezension von „The Last Quiet Place“ von Ingrid Laubrock, Sanford Josephsons Gespräch mit dem Pianisten Isaiah J. Thompson, Rick Mitchells Bericht über Kendrick Scotts „The Sugarland 95“-Projekt, sowie Rob Shepherds Interview mit Mary Halvorson. 

Unter „Scenes“ berichtet Tom Ineck über eine Jazz-Kreuzfahrt in die Karibik und Rahsaan Clark Morris über die Vielzahl an Konzerten an einem Wochenende in Chicago, erinnert Dan Bilawsky an den legendären New Yorker Club Bradley’s und Con Chapman an das Bostoner Restaurant „Mother’s Lunch“, dokumentiert David Keller die Frauen in der schwarzen Musikergewerkschaft von Seattle in der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts, hört Dee Dee McNeil ein Livealbum der Organistin Shirley Scott, betont Jason Berry die Bedeutung Henry Butlers für die Tradition des New Orleans-Klavierspiels, erinnert Paul de Barros an das New Orleans-Jazzfestival im Jahr nach Hurricane Katrina, verweist Lynn Darroch auf die lebendige Jazzszene in Portland, Oregon, stellt Paul Rauch das Seattle Jazz Fellowship vor, erinnert sich Howard Mandel an eine Geburtstagsparty für Ornette Coleman, und weist Willard Jenkins in der Einleitung seines Buchs zum selben Thema auf afro-amerikanische Journalisten im Jazzbusiness hin.

Unter „Sounds“ erinnert Hrayr Attarian an Blind Tom, hört Greg Masters Miles Davis‘ „Cellar Door Sessions“ von 1970 und Chuck Koton Marcus Millers „Live in Monte Carlo“, erinnert sich Pianist Leslie Pintchik an den Zauber eines eigenen Gigs, liest Marcela Bretons Paul Haines‘ Buch „Secret Carnival Workers“, teilt Mike Longo Erinnerungen an seine Zeit mit Dizzy Gillespie, beschreibt Mike Shanley einen Besuch um Büro des Labels ESP-Disk‘, verweist Greg Burk auf die Beziehung zwischen Musik und Videospielen, unterhält sich Philip Booth mit John Pattitucci und Jeff Berlin über den elektrischen Bass im akustischen Jazz, entdeckt Geoffrey Himes die Vielfalt der Bassklarinette und Ellen Johnson die Vokalmusik Charles Mingus‘, während Michael Ambrosino seine Linernotes zu John Santos‘ Album „Art of the Descarga“ teilt.

„The World“ ist der Abschnitt überschrieben, in dem Michael Pronko über das Jazzprogramm an der Hitorizawa High School im japanischen Kanagawa berichtet, Virginia A. Schaefer Satoko Fujii und Natsuki Tamura im Konzert hört, Larry Blumenfeld mit Arturo O’Farrill über seinen Vater, den kubanischen Komponisten Chico O’Farrill, spricht, Mirian Arbalejo ihre eigene Rolle als Jazzjournalistin in Spanien reflektiert, Jeff Cebulski die Karriere der rumänischen Pianistin Ramona Horvath verfolgt, Ashley Kahn mit in Europa lebenden amerikanischen Musikern spricht, Andrew Gilbert israelische Musiker in New York befragt, Vid Jeraj ein Festival im serbischen Kanjiža besucht, Dan Ouellette die Aktivitäten Shabaka Hutchings beleuchtet, und Don Palmer die Musikszene in Dar Es Salaam, Tanzania, erkundet. 

Der letzte Abschnitt ist mit „Remembered“ überschrieben. Art Lange hört die Box „Albert Ayler: Holy Ghost“, Peter Gerler liest Stanley Crouchs „Kansas City Lightning. The Rise and Times of Charlie Parker“, Suzanne Lorge spricht mit Steve Swallow über Carla Bley, Ted Gioia fragt, ob Amy Winehouse eine Jazzsängerin gewesen sei, Neil Tesser erinnert an Von Freeman, Deanna Witkowski schreibt über die liturgische Musik Mary Lou Williams‘, Eugene Marlow errinnert sich an Bill Evans, der in den 1960er Jahren direkt neben ihm wohnte, James Hale würdigt Andrew Hill, Michael J. West erzählt über die Gitarristin Emily Remler, Tomás Peña stellt die frühe Geigerin und Sängerin Angelina Rivera vor, Mark Stryker würdigt Barry Harris‘ Einfluss auf die Detroiter Jazzszene, John Edward Hasse steuert seinen Nachruf auf David Baker bei, John Murph erzählt die Geschichte des Produzenten Dr. George Butler und Devra Hall Levy die des Pianisten Gerald Wiggins, Corey Hall besucht eine Ausstellung zu Ehren des Bassisten Harrison Bankhead, und Peter Keepnews erinnert an George Wein.

Es ist also wirklich ein Sammelsurium, ein „Omnibus“ voller Geschichten, Erinnerungen, Interviews, Reflektionen. Wer wissen will, was genau die aktuelle Szene ausmacht, sollte entweder selbst in Konzerte gehen oder zumindest die aktuellen Jazzzeitschriften durchblättern. Wer wissen will, wwas die Themen der letzten 20 Jahre im Jazz waren, dem hilft David R. Adlers „Jazz Omnibus“, weil er genau auf diese Art und Weise auf die letzten zwanzig Jahre zurückblickt, mit einem selektiven Blick in die (amerikanischen) Zeitschriften. Die meisten der Autor:innen sind gute Schreiber, die Lektüre also durchaus kurzweilig. Am Ende der fast über 500 Seiten mögen vielleicht immer noch die eine Geschichte, die eine Perspektive, das eineThema fehlen; die Vielzahl an Sichtweisen erlaubt aber eine Art kuratierten Blick in den amerikanischen Jazzjournalismus dieser Zeit. 

Wolfram Knauer (Dezember 2024)


Early Jazz. A Concise Introduction from Its Beginnings through 1929
Fumi Tomato
Albany 2024 (State University of New York Press)
232 Seiten, 33,95 US-$
ISBN: 978-1-4384-9637-5

Early Jazz, der frühe Jazz also, schreibt Fumi Tomita in seinem Vorwort, sei der für heutige Hörer:innen vielleicht fremdeste Stil der Jazzgeschichte, zugleich sei er gerade deshalb faszinierend, weil man Aufnahme für Aufnahme nachvollziehen könne, wie sich die Musik und ihr ästhetischer Kontext veränderten. Im Vorwort erklärt Tomita das Konzept seines Buchs: Er wolle Gunther Schullers 1968 veröffentlichtes Early Jazz auf den neuesten Stand bringen, es ergänzen und dabei die Forschung der letzten 50 Jahre mit einbeziehen. Wo Schuller Jazz vor allem als eine Kunstform verstanden wissen wollte, schreibt Tomita, sei sein eigenes Anliegen breiter, berücksichtige sowohl die künstlerische als auch die kommerzielle Seite der Musik. Dieser Ansatz erlaube ihm, auch Künstler:innen zu berücksichtigen, die sonst kaum in den Fokus der Jazzgeschichtsschreibung rückten. Viele der renommiertesten Musiker:innen hätten etwa ihr Einkommen immer schon durch kommerzielle Gigs ergänzt, Gigs, die allerdings selten unter den Genrebegriff Jazz fielen. 

Tomita teilt sein Buch in Groß- und Kleinkapitel auf. Die Großkapitel befassen sich mit „Ragtime and Traveling Shows“, „The Blues“, „New Orleans and Early White Bands“, King Oliver and Jelly Roll Morton“, „The New York Scene: The Small Groups“; „Stride Piano“; „The New York Dance Band Sound: From James Reese Europe to Duke Ellington“; „Louis Armstrong“; „The Chicagoans and Bix Beiderbecke“; „Other Pioneering Soloists“; „Territory and Other Bands“; „Vocal Jazz“; „Jazz around the World“. Die Kleinkapitel darin umfassen zwischen einer und drei Seiten und versuchen unterschiedliche Aspekte zumindest schlaglichtartig zu beleuchten. 

Während Schullers Buch eine Art akademische Aufarbeitung der frühen Jazzgeschichte in ihrer Gesamtheit versuchte, einschließlich technischer Hinweise auf musikalische Besonderheiten oder Vermutungen über ästhetische Entscheidungen, liest sich Tomitas Early Jazz eher wie ein „text book“, ein Buch für Studierende, in dem die Entwicklung des Genres kontextualisiert und auf unterschiedlichste Einflüsse hingewiesen wird. Das macht er knapp, konzis, mit Hinweisen auf konkrete Aufnahmen, die sich im Internet suchen lassen. Statt Notenbeispielen, wie sie Schuller bevorzugte, hat Tomita sich für Hörcharts entschieden, also tabellarischen Verlaufsbeschreibungen, die das Ohr seiner Leser:innen auf die Form oder auf besondere musikalische Ereignisse in den Aufnahmen lenken sollen. In kurzen Kapiteln stellt er einzelne Künstler:innen heraus, fokussiert dabei nicht so sehr auf biographische, stattdessen vor allem auf musikalische Aspekte ihrer Karriere. Wo Schuller allerdings versuchte, möglichst alle Perspektiven der musikalischen Persönlichkeit mithilfe von Beispielen zu beleuchten, beschränkt Tomita sich auf ausgewählte Stücke, ein, höchstens zwei Titel pro Musiker, die er eingehender beschreibt. 

Eines der ungewöhnlicheren Unterkapitel ist vielleicht das über „‚Gaspipe‘ Clarinet“, Novelty-Klarinettisten also, die auf ihren Instrumenten seltsam-zirzensische Töne hervorbrachten und die von den meisten Jazzautoren kaum beachten wurden. Novelty-Spielweisen und Novelty-Instrumente seien in der Frühzeit des Jazz durchaus üblich gewesen, erklärt Tomita und hält es für wichtig sich solcher Aspekte genauso bewusst zu sein wie beispielsweise des Diskurses um Jazz als „ernsthafte“ Kunstmusik, wie er sich in Paul Whitemans „Experiment in Modern Music“-Konzert widerspiegele. Auch auf die Bedeutung von Musikerinnen weist Tomita hin, benennt Bluessängerinnen, bekanntere Künstlerinnen wie Lil Hardin oder Lovie Austin, aber auch die zu Beginn des 20sten Jahrhunderts populären, in der Aufnahmegeschichte des Jazz aber kaum präsenten All-Female Bands. Ein abschließendes Kapitel überschreibt er „Jazz around the World“, meint damit aber einzig den Jazzexport US-amerikanischer Musiker:innen nach Europa und Asien.

Alles in allem ist Tomitas Buch gut geeignet als „text book“, als Begleitung zum Beispiel für einen Kurs über frühen Jazz. In der Kürze des Platzes gelingt es Tomita Zusammenhänge zu erklären und auf unterschiedliche Perspektiven aufmerksam zu machen. Wünschenswert wäre ein Anhang, der zu einer tieferen Beschäftigung mit einzelnen dieser Perspektiven einladen würde. Den Vergleich mit Schullers Early Jazz hätte Tomita nicht bemühen müssen; Schullers Buch bleibt bei allen Mängeln ein Standardwerk zum Thema. Tomitas Buch allerdings bietet zugänglichere Erklärungen über Kontexte der musikalischen Entwicklung und eignet sich damit besser für den schnellen Überblick.

Wolfram Knauer (August 2024)

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