Medieval Blues 

Anmerkungen zu Projekten mit Jazz und mittelalterlicher Musik

Dieser 1998 geschriebene Beitrag erschien im von Wolfgang Kratzer und Hartmut Möller herausgegebenen Band Übersetzte Zeit. Das Mittelalter und die Musik der Gegenwart, Hofheim 2001 (Wolke).

In den letzten Jahren sind auf dem CD-Markt etliche Produktionen erschienen, in denen Jazzmusiker entweder mit Ensembles mittelalterlicher Musik zusammenarbeiteten oder durch die Verwendung mittelalterlicher Instrumente und musikalischer topoi einen inhaltlichen Bezug zwischen den beiden vordergründig sehr unterschiedlichen Traditionen herzustellen versuchten. Die Gründe für die Zunahme solcher Projekte können auf verschiedenen Ebenen gesucht werden: 

  • in der zunehmenden Popularität einer Auseinandersetzung mit dem Mittelalter nicht erst seit Umberto Ecos „Name der Rose“; 
  • im Erfolg von New-Age-Projekten, die sich auf alte europäische Kulturentwicklungen berufen; 
  • in der zunehmenden Offenheit von Musikern aus beiden Lagern anderen musikalischen Traditionen gegenüber und in ihrer Bereitschaft, bei solchen Kooperationen nicht steif auf die Regeln des eigenen Genres zu pochen; 
  • in der Auseinandersetzung vor allem europäischer Jazzmusiker mit alten Spieltraditionen von Volks- bis Kunstmusik; 
  • nicht zuletzt in der Tatsache, dass ein immer größeres Publikum von stilübergreifenden Projekten begeistert ist – hier greift die Event-Ästhetik auch auf den Plattenmarkt über.

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit einigen für die Rezeption mittelalterlicher Musik durch Jazzmusiker wichtigen Aspekten. Es geht dabei um vordergründige Parallelen zwischen der Vervollkommnung einer musikalischen Schriftlichkeit und der Markteinführung der Schallplatte, um gemeinsame Projekte von Jazzmusikern mit Ensembles mittelalterlicher Musik sowie um die Auseinandersetzung zeitgenössischer Musiker mit europäischer Folklore und deren Auswirkungen auf die Beschäftigung mit mittelalterlichen topoi. Die beiden Fragen, die im Rahmen dieses Beitrags im Vordergrund stehen, sind dabei: Aus welchen Gründen wenden sich Jazzinstrumentalisten dieser weit zurückliegenden Entwicklungsstufe europäischer Musik zu? Wie nehmen die Beteiligten auf die Besonderheiten der beiden Welten Rücksicht, und inwieweit werden musikalische Belange des Jazz und der alten Musik miteinander vermittelt? Der Schwerpunkt analytischer Betrachtungen liegt dabei auf den Projekten des Hilliard Ensembles mit Jan Garbarek, des Orlando Consort mit der Gruppe Perfect Houseplant sowie und vor allem des Klarinettisten und Komponisten Michael Riessler. 

1. Der „melting pot“ des Jazz, oder: „Play yourself, man!“

Jazzmusiker haben sich im Verlauf der Geschichte ihrer Musik vieler Quellen bedient: als Reservoir musikalischen Materials, als Inspiration, als Möglichkeit zum Finden neuer Wege. Der Jazz selbst entspringt der Begegnung mehrerer Kulturen. Wenn in Geschichtsbüchern gern vom „melting pot“ New Orleans die Rede ist, in dem sich Menschen und Kulturen sehr viel freier mischen konnten als in anderen Städten der Vereinigten Staaten, so ist dies durchaus ein realistisches Bild für die Entstehung dieser Musik. Noch heute kann man im French Quarter der Mississippi-Stadt jene aufregend-weittragende Akustik des subtropischen Klimas erleben und sich vorstellen, wie das tägliche Leben dort vor Erfindung der Klimaanlage meist bei offenem Fenster stattfand, wie Gespräche in den vielen Sprachen, die in der Hafenstadt zu hören waren, wie Gelächter, Streits und vor allem Musik von Hof zu Hof, von einem schmiedeeisernen Balkon zum nächsten getragen wurden. Dabei wird man verstehen lernen, dass es höchstens eine Übertreibung ist, wenn vom legendären Buddy Bolden behauptet wird, man habe ihn auf der anderen Seite des Lake Pontchatrain hören können.

Das Bild des „melting pot“ aber gilt nicht nur für die Entstehung des Jazz. Jazz als improvisierte Musik hat sich spätestens mit seiner Dokumentation auf dem damals neuen Medium der Schallplatte zu einer Kunstmusik entwickelt, die bald eigene, wenn auch ungeschriebene ästhetische Regeln besaß. Eine solche Regel war und ist noch heute die Antwort, die gestandene Jazzer ihren Schülern gern auf die Frage geben, was einen guten Musiker ausmache: „Play yourself, man!“. Individualität als erster Grundsatz des Jazz: Spiel dich selbst, finde deine eigene Stimme, nehme andere höchstens zum Vorbild, ohne sie zu imitieren. Diese Regel besagt nicht (wie dies oft und gern missverstanden wird), dass Jazzmusiker grundsätzlich etwas „Neues“ zu spielen hätten. Sie besagt einzig, dass der einzelne Musiker, um seine Gefühle musikalisch ausdrücken zu können, nicht nur die Technik seines Instruments vollkommen beherrschen muss, sondern sich außerdem eines eigenen, d.h. selbst gewählten Vokabulars bedienen sollte. Menschen sind nicht nur an ihrer Stimme, sondern auch am Gebrauch der Sprache als Individuen erkennbar, am Gebrauch von Worten, Sätzen, Satzstellungen. Sie bedienen sich eines gemeinsamen Wortschatzes und gemeinsamer grammatikalischer Regeln, um mit diesen ihre eigenen Belange auszudrücken. Nichts anderes verlangt die zitierte erste Jazz-Regel: Nimm dein Instrument, beherrsche es. Lausche deinen Kollegen und all den Einflüssen, die dich als Mensch und Musiker prägten. Nutze dieses musikalische Vokabular sowie die musikalischen Regeln, die du daraus ableitest, kreativ zum Ausdruck deiner selbst. 

Die Auswirkungen dieser Ästhetik werden besonders dort deutlich, wo der Jazz seine angestammte Heimat verlässt und in Länder vordringt, denen die Tradition afro-amerikanischer Kultur eigentlich fremd ist. In Europa begann der Jazz als rein imitatorische (und dabei eher schlecht imitierte) Musik, die im Vergleich nicht besser klang als ein in der nur ansatzweise beherrschten Fremdsprache radebrechender Schüler. In den 50er Jahren aber fanden mehr und mehr europäische Jazzmusiker Interesse an einer Auseinandersetzung mit ihren eigenen musikalischen Traditionen. Das war in vielen Fällen die Volksmusik des Landes oder eher noch der Region, aus der sie stammten und mit der sie verbunden waren. Das war in anderen Fällen die Kompositionstradition von Kirchenmusik bis klassische Musik. Und neben den direkt-musikalischen Momenten spielten bei der musikalischen Sozialisation immer auch außermusikalische Traditionen des Musikmachens, der Musikvermittlung, der Einbindung von Musik ins gesellschaftliche und Gemeindeleben eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren nun finden sich im zeitgenössischen Jazz einige Musiker, die sich mit mittelalterlicher europäischer Musik auseinandersetzen – teils in Zusammenarbeit mit Ensembles, die sich auf die Interpretation solcher Musik spezialisiert haben, teils in ganz eigenen stil- und zeitübergreifenden Projekten.

2. Parallelen zwischen Jazz und mittelalterlicher Musik

Es wäre vermessen, an dieser Stelle konkrete Bezüge zwischen Jazz und mittelalterlicher Musik postulieren zu wollen. Doch gibt es zumindest im Ansatz Entwicklungsparallelen, die weniger im Musikalischen selbst als vielmehr im Umgang mit der Musik liegen, in der Musikvermittlung, der Tradition und Geschichtlichkeit. Frühe Mehrstimmigkeit und Jazz nämlich haben eines gemein: Sie entstanden zu einer Zeit, als sich Dokumentations- und Überlieferungsmethoden der Musik änderten. Im einen Fall ist dies die exaktere und damit auf verschiedenen Ebenen besser nachvollziehbare Notation, im anderen Fall der kommerzielle Erfolg und die technische Verbesserung der Schallaufzeichnung. Dass Vermittlungsmedien Kultur- und Kunst-Geschichte beeinflussen, ist nicht neu. Gerade die frühe Mehrstimmigkeit und der Jazz aber stehen an den Wegscheiden wichtiger Entwicklungen und wären ohne die Einführung und Durchsetzung neuer, ihrer speziellen Ästhetik angemessener Aufzeichnungsmethoden nicht so erfolgreich, nicht so einflussreich gewesen, als wie sie sich mittlerweile erwiesen haben. 

Eine zweite Parallele hängt eng mit der ersten zusammen. Mit der Aufzeichnung mehrstimmiger Kompositionen trat genauso wie mit den ersten Schallplattenaufnahmen der kreative Künstler als Individuum in den Vordergrund, wurde die Musik, die zuvor Allgemeingut war, deren Ursprung nicht bei einzelnen Personen, sondern in langen, weit zurückliegenden Traditionen lag, zu einer Kunst, der einzelne Komponisten oder Musiker im Hier und Jetzt ihren Stempel aufdrückten. Leonin und Perotin sind damit in der Personalisierung der Musik vergleichbar mit Sidney Bechet und Louis Armstrong: Sie sind Urheber einer Musik, deren Wurzeln, Regeln und Gesetze weit in der Vergangenheit liegen, der sie aber durch eigene Kreativität individuelle Seiten abgewinnen, so dass die Ergebnisse ihrerseits für die Zukunft stilbildend sind.[1]

Die Geschichte des Jazz wäre ohne das Medium der Schallplatte genauso anders verlaufen wie die Geschichte der westlichen Musik ohne die Entwicklung einer exakten Notation. Auf den grundlegenden, diese Parallelen sogleich relativierenden Unterschied sei allerdings sofort verwiesen: Die Entwicklung der Notation im Mittelalter folgte dem Bedarf einer komplexer werdenden und eine genauere Notation erfordernden Musiktheorie; der Jazz nutzte ein gleichzeitiges, aber von seiner Entwicklung im Prinzip unabhängiges Medium.

Lassen wir uns dennoch auf einen Vergleich ein: Die Entwicklung der Musikpraxis im Mittelalter erforderte also eine exaktere Notation. Diese wiederum veränderte die Musikgeschichte, weil sie ihre Überlieferungstraditionen veränderte. Sie veränderte die Musikgeschichte, weil beispielhafte „Werke“ nun nicht mehr nur in Legenden lebten, sondern immer genauer nachvollziehbar, wiederholbar, für die Lehre beispielhaft wurden und zum konkreten Vergleich herangezogen werden konnten: sowohl im Hören als auch und vor allem im Lesen. Ähnliches gilt für den Jazz. Erst durch die Einführung der Schallplatte ergab sich für Musiker wie Hörer die Möglichkeit, frühere Stufen seiner Geschichte nachzuvollziehen, zu vergleichen, ja sogar zu notieren. 

Die Geschichte der westlichen Musik führt mit Hilfe der exakten Notation hin zur Kunst- und Werkästhetik, in deren theoretischer Rezeption das Medium – das Notenbild – oft mehr gilt als die Sache selbst, nämlich die klingende Musik. Die Geschichte des Jazz produziert ganz ähnlich ab Mitte der 20er Jahre Aufnahmen, die als „Meisterwerke“ angesehen werden und fortan als stilistischer Maßstab gelten[2].

3. Mittelalterlicher „Third Stream“: Jan Garbarek & Hilliard Ensemble, Orlando Consort & Perfect Houseplant

Als die Plattenfirma ECM 1993 die CD Officium mit Jan Garbarek und dem Hilliard Ensemble herausbrachte, war die Kritik begeistert. Zu ungewöhnlich schien das Projekt, zu disparat die musikalischen Welten, die da aufeinandertrafen: die kunstvoll geformte, für moderne Ohren dennoch irgendwie exotisch klingende Mehrstimmigkeit des Mittelalters in der Interpretation des Hilliard Ensembles und die afro-amerikanischen Musiziertraditionen verpflichteten Saxophonimprovisationen des norwegischen Jazzstars. Jazzer waren so etwas gewohnt, für sie war das neueste Projekt Jan Garbareks nur bedingt eine Überraschung: Der europäische Jazz hatte sich seit den 60er Jahren diversesten Formen für moderne Ohren „exotischer“ Musiktraditionen angenommen. Ob baskische Volkstänze, italienische Banda, indische Ragas, Schweizer Jodelrufe, sibirischer Obertongesang… alle möglichen, zum Teil uralten Genres volksverbundener Musik fanden ihren Widerhall in der Arbeit zeitgenössischer Jazz-Instrumentalisten.

Viele Jazzmusiker beschäftigten sich mit volksverbundenen Genres dabei nicht nur, weil sie darin ihre eigene Identität gespiegelt sahen oder weil sie sich von fremden Kulturen beflügeln lassen wollten, sondern aus einer Faszination mit jahrhundertealten, meist oral überlieferten und zum Teil noch heute lebendigen Traditionen. Auch Jan Garbarek hatte in seiner Karriere vielfach an solchen Experimenten teilgehabt: in der Verwendung der Windharfe („Dis“, ECM 1983 vom Dezember 1976), in Improvisationen über norwegische Volksmusik oder, ganz generell, in jener Art „nordischem Ton“, der im 19. Jahrhundert für einen Teil der skandinavischen Kompositionsentwicklung postuliert wurde und den man – allerdings auf ganz anderer Ebene – auch im Sound des norwegischen Tenorsaxophonisten wiederzufinden meint.[3]

Jan Garbarek + Hilliard Ensemble: Officium (1993)

Die CD Officium[4] von Jan Garbarek und dem Hilliard Ensemble entsprach der Offenheit beider Partner, neue Wege einzuschlagen: Das Hilliard Ensemble war keineswegs nur für seine Interpretationen mittelalterlicher Vokalmusik berühmt.[5] Ihm wurden auch von zeitgenössischen Komponisten Werke auf den Leib geschrieben. Jan Garbarek wiederum hatte sich seit den frühen 70er Jahren intensiv mit Grenzbereichen des Jazz auseinandergesetzt, mit norwegischer Volksmusik genauso wie mit Kirchenmusik. Für die Realisation des Projekts war es durchaus förderlich, dass sowohl Hilliard als auch Garbarek bei der Plattenfirma ECM unter Vertrag standen. Tatsächlich ist ECM’s Produzent Manfred Eicher entscheidend für die Idee der CD mitverantwortlich. Er hatte den Anstoß mit der Bemerkung gegeben, er könne sich gut vorstellen, dass sich Jan Garbareks Saxophon ins Stimmgerüst von Perotins „Beata viscera“ weben lasse. Officium wurde im Mai 1993 im österreichischen Kloster St. Gerold aufgenommen. Die Mitglieder des Hilliard Ensemble erklären verschmitzt: „We’re singing various medieval and renaissance numbers, and Jan’s adding the sax parts that the composers didn’t get around to writing at the time.“[6]

Die Auseinandersetzung der beteiligten Musiker mit der mittelalterlichen Tradition geschah in Officium auf drei Ebenen: „a notional pre-Gregorian chant, experimenting with ideas that might have been current before things were standardised (…); early polyphony, where it was possible to have many versions of the same piece; and renaissance polyphony that might provide chordal structures familiar to a jazz musician.“[7] Ausgangspunkt des Albums waren also konkrete Kompositionen, Ausgangspunkt war auch – jedenfalls von Seiten der Hilliard-Mitglieder – eine Art Werk- oder zumindest Genre-Treue: das Experimentieren mit Ideen, die vielleicht vor einer Standardisierung des Gregorianischen Repertoires existiert haben könnten; die Benutzung früher Polyphonie, in der schon ursprünglich die Möglichkeit bestanden hatte, ein Stück in mehreren Versionen erklingen zu lassen; die Verwendung harmonischer Gerüste, die als Changes für Jazz-Improvisationen umgedeutet werden konnten. Die Experimentierfreudigkeit der Hilliard-Mitglieder kam dem Projekt zugute: Ensembles mittelalterlicher Musik müssen sich grundsätzlich mit aufführungspraktischen Problemen auseinandersetzen, die Quellen hinterfragen, dabei letztlich aber doch immer sehr persönliche Entscheidungen über Artikulation, Rhythmik, Tempi etc. treffen, da auch die zeitgenössischen Musiktraktate, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in diesen Bereichen kaum konkrete Hinweise geben können. 

Orlando Consort + Perfect Houseplants: Extempore (1997)

Im Juni 1997 ging das Vokalensemble Orlando Consort mit Jazzmusikern ins Studio. Das gemeinsame Projekt war unabhängig von und bereits vor dem Officium-Album geplant worden. Ihre Zusammenarbeit mit dem Jazzquartett Perfect Houseplant mischt die Welten mittelalterlicher Vokalmusik und afro-amerikanischer Improvisation allerdings auf ganz andere Art und Weise. Auf der CD Extempore[8] tritt nicht wie in Officium ein Saxophonist quasi als fünfter „Sänger“ zum Vokalquartett, sondern steht den Sängern ein mit Saxophon, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug konventionell besetztes Jazzquartett gegenüber. Auf ihrer Internet-Seite erklärt das Orlando Consort: „This music mainly explores, develops and improvises around and upon C.12th and C.13th music. Based on the premise that the original performers were all improvisers and that the links between contemporary and original singers have all but eroded, this project aims to recover a new spirit of authenticity in the foregrounding of improvisation and re-composition.“[9] Mittelalterlicher Ausgangspunkt sind einstimmige Hymnen („Entering and Leaving“), frühe Notre-Dame-Monophonie („South Wind“) oder Montagen französischer Conductus („Preceding“). In „South Wind“ beginnt Saxophonist Mark Lockhart mit dem straightgespielten Thema. Die solistische Tenorstimme singt daraufhin die erste Textstrophe über zurückhaltend-jazziger Begleitung. In der zweiten Strophe kommt das jazzig intonierte Sopransaxophon im Unisono hinzu. Ein swingendes Klaviersolo führt den Hörer in die Welt des modernen Mainstreams, bevor eine Themenreprise das Stück beschließt. „St. Martial“ besitzt begrenzt rhythmisch-improvisatorische Momente bereits im Vokalthema. Hier wechseln sich zweistimmige Gesangspartien und Bariton-Saxophon-Duette ab; darunter legen Perkussion und Kontrabass eine rhythmisch intensive Begleitung. In „Modus II, III, IV, VI“ und „Quasi“ wagen sich auch die Sänger an eine Improvisation, die allerdings den modalen und rhythmischen Prinzipien mittelalterlicher Musiktheorie mehr entspricht als den Regeln des Jazz. Das lyrische „Sanctus Fontorum“ dagegen wirkt in der Überlagerung der Vokalstimmen durch die Instrumentalisten bald wie eine originäre Jazzballade.

Trotz der verschiedenen stilistischen Herkunft der beteiligten Ensembles klingt Extempore doch wie aus einem Guss. Wie bei Garbarek aber – und übrigens auch wie bei frühen Beispielen des Third Stream aus den späten 50er und frühen 60er Jahren – stehen sich die Welten zwar versöhnlich, aber doch immer klar erkennbar als unterschiedliche musikalische Traditionen gegenüber. Für einen anderen Ansatz steht Michael Riessler. In seinen Projekten seit den frühen 90er Jahren nähert sich der Klarinettist und Komponist diversen Traditionslinien europäischer Musik mit dem Ziel, aus den Wurzeln der europäischen Kunst- und Volksmusik eine neue Musik zu schaffen, die auf spielerische Weise Komposition und Improvisation miteinander verbindet.[10]

4. Folklore imaginaire und imaginäres Mittelalter: Michael Riessler

Michael Riessler gehört zu den Musikern der jüngeren Generation, die – länderübergreifend – eine Vermählung ihrer musikalischen Identitäten versuchen: als Jazzmusiker und Europäer. Als der europäische Jazz in den 60er Jahren begann, ein eigenes, von den Entwicklungen in den USA unterscheidbares Gesicht zu entwickeln, stellte gerade dieses unterscheidbare Moment sich schnell in Bezug auf die individuellen, persönlichen und nationalen Musikkulturen und Musiktraditionen dar. Verkürzt gesagt: Im Saxophon-, Klarinetten- und Akkordeonspiel Michel Portals schwang genauso viel französische Volksmusiktradition mit wie im Trompetenspiel Enrico Ravas italienische Sanglichkeit. Anders als in romanischen und osteuropäischen Ländern fanden westdeutsche Musiker ihre Identität oft genug höchstens in der Kompositionstradition ihres Landes. Die Auseinandersetzung mit Volksmusik war deutschen Musikern nach den Bemühungen des Dritten Reiches, jede Art von „Volksbräuchen“ für seine Zwecke zu missbrauchen, schwer bis unmöglich geworden. Sie beschäftigten sich stattdessen intensiv mit Komposition aus dem Bereich der Neuen Musik – manchmal vielleicht auch nur deshalb, weil Komponisten Neuer Musik anfingen, die Klangfarben improvisierender Jazzmusiker für ihre Werke zu nutzen. 

Michael Riessler ist im Leben wie in der Musik französischen und deutschen Traditionen verbunden. Er lebt zwischen Köln und Paris, arbeitet in der zeitgenössischen E-Musik wie im Jazz, ist Dozent der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik genauso wie Musiker beim Darmstädter Jazzforum. Daneben steht Riessler auch in einer sehr französischen Traditionslinie, die sich in der Musik der ARFI (der Association à la recherche d’un folklore imaginaire) am deutlichsten darstellt: einer bewussten Auseinandersetzung mit verschiedensten nationalen (oder folkloristischen) Traditionen, die allerdings weniger „benützt“ werden als vielmehr der Inspiration für die eigene improvisatorische Arbeit dienen sollen. Das Konzept der „folklore imaginaire“ ist grundlegend für das Verständnis der Projekte, in denen Michael Riesslers sich neben vielen anderen Genres auch der mittelalterlichen Musik nähert, und soll daher in einem Exkurs näher vorgestellt werden. 

Exkurs: ARFI und die folklore imaginaire

Französische Musiker wie Michel Portal, François Tusques, Bernard Lubat, Henri Texier und andere spielten immer wieder mit den folkloristischen Traditionen der Bretagne, der Provence oder anderer Gegenden ihres Landes. Instrumente wie Akkordeon und Klarinette spielten im französischen Jazz eine wichtigere Rolle als sonstwo in Europa, was vor allem darin begründet liegen mag, dass französische Musiker sich besonders früh ihrer nationalen musikalischen Identität bewusst wurden. Vielleicht lässt sich diese Tatsache durch die besondere Situation Frankreichs als eines kulturellen Zentralstaats erklären, dessen Kulturzentrum Paris es den Nebenzentren schwer machte, national wahrgenommene Identitäten zu entwickeln. Vielleicht hat die häufige Verwendung einer nationalen Folklore auch mit der Tatsache zu tun, dass der moderne Jazz in Frankreich mehr als in anderen europäischen Ländern in erster Linie eine Musik der Intellektuellen und damit auch eine politische Musik war. Französische Musiker jedenfalls verstanden den Jazz spätestens ab den 60er Jahren nicht nur als eine spannende, moderne amerikanische Musik, sondern sahen in ihm darüber hinaus auch die Möglichkeit, ihre eigene Identität auszudrücken, eigene Spieltraditionen einzubringen.

Die ARFI gründete sich Mitte der 70er Jahre in Lyon als Zusammenschluss mehrerer Musiker, die zuvor vor allem in zwei Bands aktiv waren: dem Free Jazz Workshop oder Workshop de Lyon sowie der Marvelous Band. Zum Kern dieser Szene zählten Bassist Jean Bolcano, Saxophonist Maurice Merle, Trompeter Jean Mereu, Schlagzeuger Christian Rollet, Pianist Patrick Vollat, Klarinettist Louis Sclavis – insgesamt etwa fünfzehn Musiker. Die ARFI war damit eine Musikerinitiative, wie sie sich zur selben Zeit auch anderswo in Europa gründeten. Ihr Ziel war das Ziel aller Musikerinitiativen: gemeinsamer Erfahrungsaustausch, das Schaffen von Spielmöglichkeiten und neuen Auftrittsorten, die Entwicklung von Unterrichtsprogrammen etc. Ekkehard Jost zitiert in seinem Buch Europas Jazz eine programmatische Verlautbarung der ARFI: „Die Improvisation ist die Tradition einer spielerischen Organisation der Klänge: ein Instrument spielen; mit dem Instrument spielen; mit der Erinnerung an Klänge spielen, die im Augenblick zuvor produziert werden; mit anderen Musikern spielen, in einer komplexen Verbindung mit dem Hörer, dem Zuschauer; mit der Stimme und mit dem Körper spielen; emotionale Zusammenhänge herstellen; eine neue Folklore schaffen – all dies sind die Entwicklungsstufen der musikalischen Improvisation. Das Spiel ist der Garant für die Vertrautheit mit der Musik, für die Unmittelbarkeit der Aktionen und für die gegenseitige Nähe.“[11] Wichtigste Vokabel in diesem Programm ist das Wort „spielen“, daneben wird vor allem das Moment der musikalischen Kommunikation beschrieben – zwischen Musiker und Musiker, zwischen Musiker und Publikum – sowie die Reaktion auf Vorhergegangenes, im weitesten Sinne also auf Tradition. Mit ihrer „imaginären Folklore“ hoffte die ARFI, eine vertraute Kommunikation mit dem Hörer schaffen zu können, einen „emotionalen Zusammenhang“. 

Nach außen wurde die ARFI vor allem durch den Workshop de Lyon vertreten, eine seit 1967 bestehende Quartett- bis Quintett-Besetzung. Ursprünglich hatte der Workshop de Lyon sich Free Jazz Workshop genannt. Ein programmatischer Text erklärt das Konzept: 

Free: libre. Les musiques de l’homme sont innombrables, mais bien peu sont actuellement libres. Une musique libre est une musique qui a chaque instant crée et invente sa propre réalité.

Jazz: Langage musical issu du peuple noir amÉricain et devenu universel. Musique chaude, sensuelle, musique de la vie.

Workshop: Atelier. La création musicale nÉcessite l’étroite connection entre la vision du monde et le travail. Particulier de l’instrumentiste

Le Free Jazz Workshop se particularise en ce sens que sa musique appartient à la tradition chaude, sensuelle et irrationelle du jazz. Plus que la force individuelle de ses 4 composants, il faut retenir l’Énergie collective du groupe, est-ce pour ces raisons que le F.J.W. arrive a rallier les publics les plus divers?[12]

In der weiteren Beschreibung der Gruppe und ihrer Mitglieder finden sich Begriffe wie „recherche“, „collectif“, „experience musicale“, mit denen die verschiedenen Punkte der zitierten musikalischen Eigencharakteristik unterstrichen werden: Suche = Experiment; kollektives Zusammenspiel = Kommunikation; musikalische Erfahrung = musikalische Tradition. 

Der Begriff „folklore imaginaire“ – so viel wird vielleicht deutlich – ist nicht so sehr Beschreibung als vielmehr Hinterfragen ebendieses Terminus‘. Man analysiert, was Folklore ausmacht – Kommunikation, gemeinsame Erfahrung, gemeinsame Traditionsbezüge –, und formt nach diesen Kategorien eine eigene, eine neue, aber eine nicht wirklich reale „Folklore“: eine imaginäre Folklore, die sich nicht etwa auf jahrhundertalte Traditionen bezieht, sondern auf die vielleicht gerade eben erst gehörte, gemeinsam gemachte musikalische Erfahrung. Wir haben es also mit einer eher philosophischen Auffassung des Begriffs zu tun. Und wir sollten bei allen Erklärungen den Humor nicht vergessen, der gerade im französischen Jazz seit den 60er Jahren immer eine wichtige Rolle spielte. Surrealismus war und ist in Frankreich nach wie vor ein wichtiges Mittel musikalischer Kommunikation, und auch die Theorie der „folklore imaginaire“ ist nur zu verstehen, wenn man neben dem musikalischen Ernst auch das Augenzwinkern der beteiligten Musiker bemerkt.

Der Workshop de Lyon bezog sich nirgends direkt auf die Anfänge der europäischen Kunst- und Volksmusik, so wie Michael Riessler dies in den 90er Jahren tat. Aber insbesondere in Kenntnis der späteren Aufnahmen Riesslers kommt man um die Feststellung von Parallelen schwer herum. 

Workshop de Lyon: La chasse de Shirah Sharibad (1975)

Ekkehard Jost konstatiert in der Musik des Workshop de Lyon zwei thematische Typen: melodisch orientierte (selten kantable) Themen sowie zirkuläre Themen, deren Entwicklung nicht so sehr aus der melodischen Veränderung als vielmehr aus der Änderung im Zusammenklang entsteht. Nehmen wir als Beispiel für die Musik des Workshop das Stück „Telie“[13], eingespielt im September 1975: Das zweiteilige Stück besteht im ersten Teil aus einer durchgehenden arco-Bassbegleitung mit darübergelegten improvisierten Saxophonpartien, im zweiten Teil aus einem hymnenhaften, sich dynamisch steigernden Thema über teils chromatisch, teils diatonisch ansteigender Begleitung mit improvisierten Zusammenklängen der beiden Saxophonisten. Das kommunikative Moment steht im Vordergrund vor der Zurschaustellung instrumentaler Virtuosität. Die Musik besitzt klare, durchsichtige Strukturen, die durch geänderte Spielhaltungen, neue Instrumentalkonstellationen gekennzeichnet sind. Der Ansatz ist vom kammermusikalisch-dialogischen Beginn über den gepressten, Schalmei-artigen Saxophonsound bis zu den improvisierten Zusammenklängen der beiden Saxophonisten vor allem klangorientiert.

Workshop de Lyon: Musique basalte (1981)

Im relativ kurzen „Moulin Noir“[14] vom Oktober 1981 folgt einem rahmenden, folkloristisch wirkenden Thema ein Klarinettensolo über rhythmisch irritierender, vollständig abgesprochener melodisch-rhythmischer Begleitung. Das Klarinettensolo scheint genauso Elemente aus Klezmer-Musik zu enthalten wie aus einer unbestimmten regionalen Volksmusik. Im „Chant Bien Fatal“[15], ebenfalls vom Oktober 1981, wird das sehr sangliche, deutlich strukturierte Thema vom Saxophon über gestrichenem Bass vorgestellt. Hier gibt vor allem die Parallelführung von Klarinette und gestrichenem Kontrabass dem Sound etwas seltsam Folkloristisches. Nach der Themenexposition steht in einer Art Klangimprovisation das Zusammenspiel im Vordergrund. Die relativ kurzen Stücke der gesamten LP Musique Basalt stellen nur selten einzelne Solisten in den Vordergrund. Selbst in freiesten Improvisationspassagen bewirken die deutlichen Reaktionen der Musiker aufeinander, bewirkt die Durchhörbarkeit der musikalischen Strukturen eine leichte Verfolgbarkeit des musikalischen Ablaufs. Ausgeprägt wilde Kollektivimprovisationen wie in „Trois pour Deux“[16] sind da die Ausnahme.

Aus dem Kreis der ARFI stammen einige Musiker, die heute zu den gefragtesten Jazzern Frankreichs gehören. An erster Stelle ist der Klarinettist Louis Sclavis zu nennen. Sein Trio de Clarinettes gehört zu den gefeierten kammermusikalischen Ensembles des zeitgenössischen Jazz. Sclavis machte sich für das Trio wie für andere seiner Projekte die Erfahrungen der ARFI zunutze: Auch in seiner Musik tritt die immer vorhandene und immer auch gezeigte Virtuosität der einzelnen Musiker hinter die kollektive Erfahrung, das kollektive Zusammenspiel zurück.

Michael Riessler lernte die Idee einer „folklore imaginaire“ 1978 kennen, als er Mitglied des Pariser Ensembles Musique Vivante wurde, dessen Musiker auch in der Welt des Jazz und der improvisierten Musik daheim waren. Von 1989 bis 1991 war Riessler Mitglied des französischen Orchestre National de Jazz, das damals vom Gitarristen Claude Barthelemy geleitet wurde. Seit 1991 macht Riessler mit eigenen Projekten von sich reden, an denen fast immer auch französische Musiker beteiligt sind: der Drehleierspieler Valentin Clastrier, der Tubaspieler Michel Godard, der Akkordeonist Jean-Louis Matinier, der Kontrabassist Renaud Garcia-Fons. 

Riesslers Bezug aufs Mittelalter hat vor allem drei Säulen: 

  1. die Benutzung alter, zum Teil mittelalterlicher, zum Teil an mittelalterlichen Vorbildern sich orientierender Instrumente, wie sie in heutiger Musik kaum Verwendung finden – Drehleier, Tambourin, Sackpfeife;
  2. die Verwendung mittelalterlicher musikalischer topoi (v.a. in Melodik und Rhythmik) oder Themen – nie allzu wortgetreu, eher interpretierend;
  3. der Bezug auf ein Philosophie- und Lebensverständnis, bei dem Experiment und der Aufbruch zu Neuem im Vordergrund steht.[17]

Riesslers Bezug aufs Mittelalter ist dabei weit weniger klar, als es die Besetzung oder programmatische Plattentexte vielleicht erwarten ließen. Allerdings ist natürlich auch die Dokumentationslage mittelalterlicher Instrumentalmusik weitaus schlechter als die zur Vokalmusik. Im Covertext zu Héloise, einer Auftragskomposition für das Donaueschinger Musikfestival 1992, merkt Riessler an: „Il s’agit d’un projet de ‚jazz‘ pour lequel le principe de l’improvisation ne se limite pas uniquement au thème et à l’harmonie mais intègre Également, et tout particulièrement, des styles historiques de la tradition musicale européenne remontant au Moyen-Age: un Moyen-Age dans lequel, par exemple, des influences arabes parvenaient à l’Europe et dans lequel dominait une complicité harmonieuse entre le jeu modal et la technique de basse générale.“[18]

Michael Riessler: Tentations d’Abélard (1995)

In den CDs Tentations d’Abélar[19] und Héloise[20] spielen Bezüge auf mittelalterliche Musik auf verschiedenen Ebenen eine Rolle. Da ist zum einen ganz vordergründig der Bezug im Titel, im Programm der jeweiligen Kompositionen. Die Stücke in Héloise beispielsweise heißen „Wilhelm von Champeaux“, „Lais“, „Quanta qualia“, jene in den Tentations d’Abélard „Sequentiae“, „St. Denis“, „Die Horen des Astrolabius“ oder „Cantus“ und beziehen sich sämtlich auf die bekannte Liebesgeschichte zwischen Abélard und Héloise. Da ist zum zweiten die Instrumentation mit Drehleier, Serpent und Tabourin, aber auch mit Oud, Akkordeon, Harfe und Zymbalon – also eine Vermischung mittelalterlicher Instrumente mit solchen aus unterschiedlichen europäisch-arabischen Musikkreisen. Da sind zum Dritten innermusikalische Verweise, die sich teils aus klanglichen, teils aus harmonischen, rhythmischen oder melodischen Klischees ergeben. Die Bezeichnung „Klischee“ ist dabei nur eine Umschreibung dessen, was Riessler selbst als „Spuren“ bezeichnet, die er dem Hörer anbiete, um ihn in bestimmte musikalische Welten zu führen. In den Abélard– und Héloise-Suiten bleiben die einzelnen Stücke zumeist in einem Idiom. Riessler schafft Vermittlungen zwischen den meisten Kontrasten, selbst dort, wo die Sätze der Komposition ohne Pause ineinander übergehen. 

Michael Riessler: Héloise (1993)

Die Komposition „Und“ aus Héloise beginnt mit einem jazz-gemäß intonierten Kontrabass-Ostinato von Renaud Garcia-Fons. Darüber folgt ein schnelles, fusion-artiges Thema, unisono gespielt von Tuba und Bassklarinette. Das Tuba-Solo über einem neuen, rhythmisch intensiven Ostinato von Akkordeon, Bassklarinette, Tambourin und Drehleier zentriert sich auf Improvisationen zu sich abwechselnden Klangflächen über Des-Dur und E-Dur. Eine darauffolgende polyphone Partie der Melodieinstrumente wird von einem balkanisch anmutenden Zymbalonteil abgelöst, über den sich abschließend nochmals fusion-artige Unisono-Phrasen von Bassklarinette und Tuba drängen. 

„Lais“ aus Héloise beginnt mit einem scheinbar mittelalterlichen Troubadour-Thema, vorgetragen im imitativen Dialog von Drehleier und den restlichen Melodieinstrumenten. Der Mittelteil enthält ein virtuoses, über weite Strecken in Zirkularatmung geblasenes Klarinettensolo über einer orgelpunkt-artigen Begleitung von Bass (Akzente jeweils auf den Zählzeiten 1, 4 und 3 zweier aufeinanderfolgender Takte), Zymbalon und Akkordeon. Ein leicht variiertes Themenstatement schließt dieses Klarinettenfeature ab.

„Quanta qualia“ aus Héloise ist ein ausgesprochen original klingendes klagendes Lied. Das (d-)dorische Thema wird von der Serpent zur gitarrenartig gespielten Oud und einem Bass-Orgelpunkt vorgetragen. Serpent und Oud stimmen ein zweites Thema an, das in einen imitativen Dialog verschiedener Instrumente übergeht. Das Thema wird schneller, dabei ein wenig jazziger intoniert und plötzlich durch eine dudelsackartige Improvisation der Drehleier über rhythmisch intensivem Vollklang von Bass und Perkussion abgelöst, die ihrerseits die Grundlage für eine hymnisch-langsame Serpent-Melodie abgibt. Eine Reprise des klagenden Anfangsthemas beschließt die Aufnahme.

Michael Riessler: Honig und Asche (1997)

In der Auftragskomposition für die Musik-Biennale Berlin 1997 Honig und Asche (Melisande = miel et cendre) arbeitet Rießler noch deutlicher als in anderen seiner Kompositionen mit dem Moment der Ironie. Das Rießler-Ensemble setzt sich für diese Komposition aus doppelt besetzten Instrumentengruppen zusammen: zwei Trompeten, zwei Posaunen, zwei Holzbläser, zwei Streicher, zwei Perkussionisten, Akkordeon, Bass und vor allem: zwei Sängerinnen. 

Mit dem Einsatz der Stimmen gelingt Riessler die Botschaft noch klarer: Zitate oder auch Annäherungen an Zitate sind selten ernst zu nehmen. Zur Erklärung: Die gesamte Komposition besteht aus Texten unterschiedlichster Quellen. Riessler selbst nennt: Raymond Quenneau, Raymond Federman, Oskar Pastior, Friedrich Achleitner und das Langenscheidt Handwörterbuch, Schulausgabe.[21] Da gibt es einen deklamierten Text in „zungen“, in dem die Sängerin die Probleme des Komponisten beim Niederschreiben seiner Komposition vorträgt. Im emotional äußerst intensiv gehaltenen „piccola cosmogonia portabile“ werden Worte in kürzeste Silben gehackt, die dann das Spiel des gesamten Ensembles bestimmen: eine kurz-nervöse Atemlosigkeit über rockigen Rhythmen. „en“ beginnt mit simplen, von den Streichern vorgetragenen Akkorden, über denen die Sängerin leise summt und flüstert. Ihr Lied über einem Orgelpunkt und vielen harmonischen oder auch harmonisch irritierenden Haltetönen nutzt melismatische Wendungen, die – sicher auch im Zusammenspiel mit dem Hall der Aufnahme – durchaus Erinnerungen an mittelalterlich-sakrale Sologesänge aufkommen lassen. Aber Rießler selbst sieht solche Verweise nur als „gelegte Spuren“: „Was mich interessiert, ist Spuren legen; permanent jemanden in eine Richtung bringen und dann plötzlich… ah, es geht hier weiter!; nichts Vorhersehbares zu machen. Das ist der Sinn dieser Überlagerungen.“[22] Und so wandelt sich die Stimme am Ende vom melismatischen Schönklang zu einem schmerzlichen Krächzen. Im sich anschließenden „rem(us)“ gelangen wir auch auf der textlichen Ebene zurück in ein Schein-Mittelalter: ufa ufo buffo femur pouis fi fa rocco mea culpa nubis volvo croco pubis flavus tratus orbis pictus rubens tangens male rhombus male lambus davos bimbam omis taklan vale nono ecco novens bis koblenz wie abus bis rhodos im turnus nemesis mähne lautet der surreale Text, und im Duo der beiden Sängerinnen Lucilla Galeazzi und Elise Caron meint man die früheste Art einer dichten, über lange Strecken parallel verlaufenden Zweistimmigkeit durchzuhören. Riessler kontrastiert diese immerhin über drei Minuten durchgehaltene musikalische Welt mit bluesig-rockigen Bläserakzenten, die erst ein virtuoses Akkordeonsolo Jean-Louis Matiniers, dann ein jazzige Dämpfertechniken benutzendes Duett der beiden Posaunisten Yves Fabre und Michael Svoboda begleiten. Ähnlich stellt das Schlussstück „otang“ den Tango in den Mittelpunkt – deutlich hörbar in den Akkordeonpassagen. Doch auch hier werden verschiedene Stilebenen kombiniert: Die Sängerinnen haben kurze Jodelrufe auszustoßen und danach über lange Strecken lateinische Blumennamen aufzuzählen. Riessler: Es geht mir um den Inhalt des Wortes, aber nicht, um eine Geschichte damit zu machen, eine Art von Dramaturgie zu erzeugen. Ich will den Inhalt des einzelnen Wortes, des einzelnen Satzes nehmen, genau wie er ist, genau wie er klingt. Die Buchstaben sind dasselbe wie Noten.[23] Und wie mit Texten, so geht Riessler auch mit den Versatzstücken aus der Musikgeschichte um. Anders als bei John Zorn aber ist Riesslers Spiel mit den Traditionen nicht das einer musikalischen Collage. Die Versatzstücke seiner Musik sind allein schon durch die durchgehende Instrumentation miteinander verbunden. Das Tambourin Carlo Rizzis, die Nickelarpa Marco Ambrosinis oder in anderen Aufnahmen die Drehleier Valentin Clastiers sind klangliche Konstanten, die mal als Verweis auf Musikgeschichte verstanden werden können, mal vor allem des Sounds wegen eingesetzt werden oder einfach nur der Virtuosität ihrer Musiker wegen.

Michael Riessler: Poliritmia (1995)

Das Trio mit Carlo Rizzi und Valentin Clastrier ist hierfür das beste Beispiel. Rizzis erstaunliches Spiel auf dem Tambourin in Poliritmia[24] mag – übrigens auch in der Virtuosität seines Instrumentalumgangs – an das Klischee mittelalterlicher Jahrmarktstrommler erinnern. Und auch Riesslers Instrumentaltechnik besitzt ja neben aller Musikalität ein Moment des Circensischen: Wenn seine rasenden Wechselnotenpartien im Soloklarinettenstück „Zanza“[25] so schnell gespielt an Sackpfeifen erinnern, hat man den Eindruck, eine Melodie über mindestens zwei Bordunpfeifen zu hören. Ziel dieses Trios sei es, so Riessler im Plattentext, „aus den Wurzeln der europäischen Kunst- und Volksmusik eine neue Musik zu schaffen, die auf spielerische Weise Komposition und Improvisation miteinander verbindet.“[26] Die Betonungen dieses Satzes müssten fast auf jedes Wort gelegt werden: „Europa“, „Kunstmusik“, „Volksmusik“, „spielerisch“, „Komposition“ und „Improvisation“. Es ist kein großes Problem, diese einzelnen Termini unterschiedlichen Welten zuzuordnen, aus denen Riessler eben auch stammt: das Spielerische und die Improvisation dem Jazz, Kunstmusik und Komposition der zeitgenössischen (europäischen) Musik, die Volksmusik vielleicht einigen französischen und italienischen Volksmusiktraditionen, deren sich Riessler und seine Mitmusiker verbunden zeigen. Im selben Plattentext allerdings formuliert Riessler auch seine Abneigung gegen die klischeehafte Verwendung musikgeschichtlicher Versatzstücke: „Die Traditionslinien der italienischen Tarantella, der französischen Folklore, des neuen Jazz und der zeitgenössischen Musik dienen dabei nicht als oberflächliche oder nostalgische Klischees, sondern sie sind das Fundament, von dem aus neue Entdeckungen möglich werden: In jedem Moment solistisch und gleichzeitig in den Gesamtklang integriert; europäisch, indem die eigene Identität mit der der anderen kommuniziert.“[27] Aber die „Klischees“ bleiben eben doch Klischees – nur eben als Spuren, die der Komponist legen will, die auch vom Publikum erkannt werden sollen, die bewusst eingesetzt werden als Vokabeln einer gemeinsamen Musiksprache.

Michael Riesslers musikalische Rezeption mittelalterlicher Musik folgt in vielem dem Vorbild der „folklore imaginaire“, wie sie die ARFI in ihrer Musik vorgemacht hatte. Es bleibt müßig zu spekulieren, ob sich Riessler mittelalterlicher topoi in Ermangelung eines möglichen deutschen Folklorebezugs bedient habe – Riessler selbst ist viel zu sehr Europäer, als dass solche nationalstaatlichen Gedanken da eine große Rolle gespielt haben dürften. Riessler traf in seinen ganz unterschiedlichen musikalischen Unternehmungen auf virtuose Musiker, die gleich ihm an Aspekten der europäischen Musikgeschichte interessiert waren, die fernab der üblichen Konzertliteratur lag. Sie alle interessierten sich besonders für die experimentellen Seiten jener scheinbar so dunklen Epochen. Sie waren fasziniert von einer Musik, in der das Spielerische wenigstens im weltlichen Bereich den Vorrang vor dem Streng-Kompositorischen hatte, in dem die instrumentale Virtuosität nicht nur blenden, sondern auch Kontakt zum Publikum herstellen sollte. Die virtuose Technik, die Riessler und seine Mitmusiker in den verschiedenen Projekten in den Mittelpunkt stellen, ist musikalisch begründet, aber immer auch Schau, so wie die Musik auf mittelalterlichen Jahrmärkten kunstvoll war und zugleich der öffentlichen Schau diente. 

Zusammenfassung:

Probleme und Chancen einer Auseinandersetzung des zeitgenössischen Jazz mit mittelalterlicher Musik ähneln in vielem den Problemen und Chancen des Third Stream in den späten 50er und frühen 60er Jahren. Bei einer Begegnung von zeitgenössischer E-Musik und Jazz-Avantgarde waren für beide Bereiche Musiker vonnöten, die über die Grenzen des eigenen Genres hinwegzublicken bereit waren und die sich auf die Besonderheiten der jeweils anderen Seite einlassen konnten. Der Third Stream wurde eigentlich erst in den späten 70er und 80er Jahren zu einer ästhetisch befriedigenden Musik, als durch eine stilistisch breitere Musikausbildung Instrumentalisten gefördert wurden, die in mehr als einem Stilbereich zu Hause waren. Kompositionen von Anthony Braxton, Franz Koglmann oder Anthony Davis fordern Musiker, die ausgesprochen komplexe komponierte Parts perfekt realisieren können und zugleich exzellente Improvisatoren sind. Die Auseinandersetzung mit mittelalterlicher Musik scheint ähnliches zu verlangen. Die Mitglieder des Hilliard Ensemble und des Orlando Consort haben sich nicht nur theoretisch mit der Bedeutung der Improvisation in mittelalterlicher Musik befasst, sondern müssen auch ganz praktisch für die Realisierung ihres eigenen Repertoires aufführungstechnische Entscheidungen treffen, die weit über das Interpretieren klassischer Kompositionen hinausgehen.[28] In ihren Jazz-Projekten allerdings bleibt das Ergebnis vor allem eines der klanglichen Begegnung, nicht der musikalischen Vermittlung: Die Gruppe Perfect Houseplant und das Orlando Consort nehmen zwar immer wieder aufeinander Bezug, musizieren aber eigentlich jeweils in ihrer eigenen Welt. Das Resultat ist dabei durchaus spannend und keineswegs banal. Der Versuch einer auch innermusikalischen Vermittlung wird von vornherein kaum angegangen. Jan Garbarek und das Hilliard Ensemble gehen anders vor. Hier kommen die klanglichen Eigenheiten des Saxophonisten einer Vermittlung entgegen – Garbareks Partie setzt sich zwar durchaus disparat über den Vokalsatz, wirkt dennoch gleichsam fast wie eine fünfte Vokalstimme. Allein der Einsatz der Sänger aber bindet beide Projekte an die sakral-klanglichen Klischees eines Vokalensembles für frühe Musik. 

Michael Riessler scheint da musikalisch gleichsam vor den Dom zu treten, stellt das spielerische Moment in den Vordergrund. Er versucht die Übersetzung einer frühen europäischen Klangästhetik in die heutige Zeit. Die wichtigste Rolle spielt dabei in seinen Stücken der Vorrang der Improvisation. Riessler versteht die Auseinandersetzung mit alter Musik nicht als bloße Gegenüberstellung oder kritikloses Zitieren, sondern als stilistische Erweiterung seines musikalischen Vokabulars. Dieses wiederum besteht nicht nur aus mittelalterlichen Versatzstücken, sondern benutzt genauso Material aus der Neuen Musik, aus dem Jazz, aus der Folklore verschiedener Länder und Kontinente. Riesslers Besetzungswahl fällt meist auf Musiker, die sich kultureller Eigenheiten der Länder und Gegenden, denen sie entstammen, bewusst sind. Er baut auf die Meisterschaft seiner Mitmusiker, führt verwendete Klischees sofort vom reinen, durchaus auch witzigen Verweischarakter fort, um sie in ein größeres, im Höreindruck weit weniger als in der Beschreibung beliebig wirkendes Konzept einzubringen. Wo die Projekte Garbarek/Hilliard und Perfect Houseplant/Orlando Consort eher an frühe Experimente des Third Stream erinnern, bei denen sich die Welten bei aller Sympathie eben doch blockhaft gegenüberstanden, gelingt Riessler eine überzeugende Vermittlung, eine spannende Neudefinition alter Musizierpraktiken. Bei alledem beruft er sich übrigens durchaus bewusst auf grenzüberschreitende, wahrhaft „europäische“ Traditionen. 

Letztlich sind alle hier diskutierten Projekte von Seiten des Jazz her gesehen exotische Versuche, mit einem für Jazzmusiker neuen Repertoire zu arbeiten. Sie sind Resultat der in den 80er Jahren begonnenen ästhetischen Maxime des „anything goes“. Sie werden weder einen neuen Stil des Jazz bilden noch die Interpretation früher Musik revolutionieren. Sie können aber helfen, Ohren zu öffnen und die oft viel zu streng gezogenen Grenzlinien zwischen den musikalischen wie ästhetischen Idealen zu überbrücken. Und das ist in beiden Sparten keine geringe Leistung.


[1] Natürlich fand die Personifizierung im hohen Mittelalter durchaus auch in anderen Kunstsparten statt und ist damit nicht bloß, aber eben auch im Zusammenhang mit der Verschriftlichung zuvor oral tradierter Musik zu sehen.

[2] Als die ersten bedeutenden Jazzmusiker (Armstrong, Ellington) in den 30er Jahren nach Europa kamen, wurde Ihnen von den Fans erstaunt vorgehalten, dass ihre Soli ganz anders klängen als die Schallplatteneinspielungen, die man als Maßstab für ihren Stil vor Ohren hatte. Und selbst heute kann man noch ähnliche Reaktionen beobachten, wenn man uneingeweihte, nur mit der klassischen Notationstradition vertraute Musikhörer mit Jazzimprovisationen konfrontiert.

[3] Vgl. Heinrich W. Schwab: Das Lyrische Klavierstück und der nordische Ton, in: Friedhelm Krummacher und Heinrich W. Schwab (Hgg.): Gattung und Werk in der Musikgeschichte Norddeutschlands und Skandinaviens, Kassel 1982 (Bärenreiter), S. 136-153. Zu Garbareks Saxophon-Sound vgl. Tor Dybo: Jan Garbarek – Det åpne roms estetikk, Oslo 1996 (Pax)

[4] Jan Garbarek & Hilliard Ensemble: Officium; ECM New Series 1525

[5] Einer der Sänger des Hilliard Ensemble, John Potter, hat gerade erst ein eigenes Buch über die Gesangsstilistik diversester Musiktraditionen veröffentlicht. Vgl. John Potter: Vocal Authority. Singing Style and Ideology, Cambridge 1998 (Cambridge University Press)

[6] NN: Saxophones into Ploughshares, in: The Hilliard Ensemble (Newsletter), early 1994: 1

[7] NN: Editorial, in: The Hilliard Ensemble (Newsletter), Autumn 1994: 1

[8] Orlando Consort & Perfect Houseplant: Extempore; Linn CKD 076

[9] Zit. nach Internet-Homepage des Orlando Consort, geladen am 29. Juli 1998: http://ourworld.compuserve.com/homepages/Donald_Greig/WIZZF.htm. NOTE: Diese Website ist nicht mehr online, aber über die Wayback Machine abrufbar unter https://web.archive.org/web/20000915091535/http://ourworld.compuserve.com/homepages/Donald_Greig/WIZZF.htm (aufgerufen am 28. April 2024)

[10] Michael Riessler, im Plattentext zu Clastrier/Riessler/Rizzo: Palude; Wergo 8010-2

[11] Ekkehard Jost: Europas Jazz 1960-80, Frankfurt/Main 1987 (Fischer): 428

[12] Werbeblatt des Free Jazz Workshop aus den frühen 70er Jahren (im Archiv des Jazzinstituts Darmstadt).

Deutsche Übersetzung:

„Free: frei. Die Musiken der Menschen sind unzählig, doch nur wenige sind tatsächlich frei. Eine freie Musik ist eine Musik, die in jedem Moment ihre eigene Realität kreiert und erfindet.         

Jazz: musikalische Sprache der schwarzen Amerikaner und seither eine universelle Musiksprache. Eine warme, gefühlvolle Musik, Musik des Lebens.

Workshop: Atelier. Die musikalische Kreation braucht die Verbindung einer Weltvision mit der ganz spezifischen Arbeit des Instrumentalisten.              

Der Free Jazz Workshop hat sich in seiner Musik jener warmen, gefühlvollen und irrationellen Tradition des Jazz verschrieben. Zusätzlich zu der individuellen Kraft seiner vier Musiker benutzt der Workshop die kollektive Energie der Gruppe.“

[13] auf der LP Workshop de Lyon: La Chasse de Shirah Sharibad, Move 123 No. 8

[14] auf der LP Workshop de Lyon: Musique Basalt; Move WDL 005

[15] auf der LP Workshop de Lyon: Musique Basalt; Move WDL 005

[16] auf der LP Workshop de Lyon: Musique Basalt; Move WDL 005

[17] Der einzige inhaltliche Teil des Plattentextes zu seiner CD Tentations d’Abélard lautet: „Versuche und Versuchungen: Der Begriff des experimentum gehört für Pierre Abélard (1079-1142) nicht in den Bereich der Wissenschaft, sondern der Lebenspraxis. Zeit ist für Abélard nicht linear. So sind es Augenblicke, nicht historische Ereignisse, die körperliche Versuchungen und geistige Konflikte bestimmen.“ Plattentext zu Michael Riessler: Tentations d’Abélard, Wergo WER 8009-2 (1994)

[18] Michael Riessler: Plattentext zu Héloise, Wergo WER 8008-2 [1992]. Deutsche Übersetzung: „Es handelt sich um ein Jazzprojekt, bei dem das Prinzip der Improvisation sich nicht auf Thema und Harmonik beschränkt, sondern genauso die Behandlung historischer Stile und europäischer musikalischer Traditionen seit dem Mittelalter betrifft; einem Mittelalter, in dem arabische Einflüsse in Europa weitverbreitet waren und in dem zwischen dem modalen Spiel und der Generalbasstechnik eine harmonische Verbindung bestand.“

[19] Michael Riessler: Tentations d’Abélard, Wergo WER 8009-2

[20] Michael Riessler: Héloise, Wergo WER 8008-2

[21] Plattentext zu Michael Riessler: Honig und Asche, Enja ENJ-9303-2

[22] Zitiert nach Marcus Gammel: Honig und Asche. Uraufführung von Michael Riessler bei der Berliner Musik-Biennale, in: Jazzthetik, 11/6 (Jun.1997): 10

[23] Riessler bezieht sich bei dieser Aussage mit Sicherheit nicht auf die Musica enchiriadis, in der es dennoch gleich zu Beginn ganz ähnlich und doch natürlich genau von der anderen Seite kommend heißt: „Sicut vocis articulatae elementariae atque individuae partes sunt litterae, ex quibus compositae syllabae rusus componunt verba et nomina eaque perfectae orationis textum, sic canorae vocis phthongi, qui Latine dicuntur soni, origines sunt et totius musicae continentia in eorum ultimam resolutionem desinit.“ [So wie die elementarischen und unteilbaren Bestandteile der Sprechstimme die Buchstaben sind, aus denen sich die Silben zusammensetzen, die ihrerseits die Wörter und Namen bilden, so sind der Ausgangspunkt der Gesangsstimme die phthongi, die lateinisch soni heißen; und der Inhalt der gesamten Musiklehre mündet letztlich in deren Erklärung.] Zit. nach Hans Heinrich Eggebrecht: Die Mehrstimmigkeitslehre von ihren Anfängen bis zum 12. Jahrhundert, in: Frieder Zaminer (Hg.): Geschichte der Musiktheorie, Bd. 5: Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit, Darmstadt 1984 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft): 17

[24] Trio Clastrier – Riessler – Rizzo: Palude; Wergo WER 8010-2

[25] Trio Clastrier – Riessler – Rizzo: Palude; Wergo WER 8010-2

[26] Trio Clastrier – Riessler – Rizzo: Palude; Wergo WER 8010-2

[27] Trio Clastrier – Riessler – Rizzo: Palude; Wergo WER 8010-2

[28] Vgl. Brian Marley: The Archaeology of the Improvisers. Interpreting Early Music, in: Avant, 5 (Winter 1998): 36-38

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