On the questionable aesthetics of masculinity in jazz
I wrote this text for the program booklet of the 53rd Jazzfest Berlin (as PDF here available for download), for which festival director Richard Williams created gender parity among the bandleaders for the first time. Apart from the fact that I would probably gender such a text today, it doesn't go nearly deep enough - certainly also due to the scope requirements - and in particular doesn't question my own position in this discourse, as author, organizer, lecturer and then director of the Jazzinstitut Darmstadt.
Zu den vielen Klischees, die es über den Jazz gibt, zählt ganz gewiss jenes, dass der Jazz eine Männermusik sei. Und es stimmt ja auch: Die üblicherweise gefeierten Heroen des Jazz, von Louis Armstrong über Duke Ellington, Charlie Parker, Miles Davis, John Coltrane, Herbie Hancock bis hin zu den jüngsten Namen, die angeblich die Wiederbelebung des Genres auszeichnen, Robert Glasper, Jason Moran oder Kamasi Washington, um nur die amerikanische Linie anzuführen – alles Männer. Tatsächlich gibt es genügend Frauen, die an der Entwicklung des Jazz mitgewirkt haben, nicht nur jene, die bei diesem Thema immer genannt werden, Mary Lou Williams, Maria Schneider oder Barbara Thompson, Ella Fitzgerald, Jutta Hipp oder Carla Bley. Die amerikanische Musikethnologin Sherrie Tucker hatte 2004 eine Publikation über den Anteil von Musikerinnen im New Orleans des frühen 20sten Jahrhunderts veröffentlicht und dabei mit dem Vorurteil aufgeräumt, schon von Anfang an sei der Jazz eine Musik von Männern gewesen. Aus anderen Quellen erfahren wir – wahrscheinlich zum Erstaunen der meisten –, dass es kurz nach der Jahrhundertwende mehr Frauen- als Männerensembles in Europa gab, oder dass auch in Deutschland mancherorts die ersten dort zu hörenden amerikanischen Jazzbands in den 1920er Jahren Frauenorchester gewesen waren.
Es gibt also, wenn man nur tief genug gräbt, genügend Informationen darüber, dass der Jazz, anders als man gemeinhin glaubt, keineswegs eine Männermusik sein muss. Warum aber wird er so oft als eine solche gesehen? Warum hält sich das Klischee bis in unsere Tage? Und wie ließe sich der Wahrnehmung von Jazzgeschichte als einer männlichen Domäne korrigierend entgegentreten? Ganz bestimmt nicht allein dadurch, das man in Konzerten und bei Festivals von Musikerinnen geleitete Ensembles oder gar ganze „Frauenbands“ auftreten lässt. Es geht ja weniger darum, zu zeigen, das Musikerinnen „genauso gut“ spielen wie Musiker, als vielmehr darum, dass ihre Beweggründe, sich in diesem Genre ausdrücken zu wollen, dieselben sind wie die ihrer männlichen Kollegen. Wenn aber die musikalischen Voraussetzungen und die Motivation des Musikmachens grundsätzlich ähnlich sind, müssen die Gründe für die weitgehende Marginalisierung von Musikerinnen im Jazz anderswo zu suchen sein.
Vielleicht lohnt es sich, von den vielen Perspektiven dieses Themas zumindest drei kurz anzureißen.
Da sind zum einen die Jazzkritiker, denen wir, lange bevor es so etwas wie Jazzforschung überhaupt gab, die Dokumentation von Jazzgeschichte zu verdanken haben. Sie waren teilweise Experten, teilweise hingebungsvolle Fans, die der Musik großen Respekt entgegenbrachten, ohne aber oft tatsächlich das, was da musikalisch verhandelt wurde, angemessen beschreiben zu können. Die Jazzkritik fand überdies bis in die 1950er Jahre hinein vor allem in der populären Musikpresse statt, richtete sich also an ein Laienpublikum. Und so suchten viele der frühen Kritiker eher nach guten Geschichten, als dass sie wirklich auf die Musik hörten. Ihre Berichte über phänomenale Soli oder über die Tenor Battles in Kansas City lesen sich oft genug wie Sportreportagen, bei denen der – gesellschaftlich eher männlich konnotierte – Wettbewerbscharakter stärker im Vordergrund zu stehen scheint als etwa die – gesellschaftlich eher weiblich konnotierte – Einfühlsamkeit des Aufeinander-Hörens und Aufeinander-Reagierens der Musiker/innen. Das Höher-Schneller-Weiter (und immer wieder auch „Neuer“) der amerikanischen und europäischen Jazzkritik entstand aus einer Haltung heraus, die den Fokus auf (männliche) Musiker und die Marginalisierung weiblicher Musikerinnen nur unterstützte.
Da ist zum zweiten das Publikum, das über die Jahre – ebenfalls gesellschaftlich begründet – immer mehr aus Männern zu bestehen schien. In New Orleans war der Jazz noch eine in der Gemeinschaft verankerte Musik. In der Swingära war Jazz geschlechterübergreifend der Soundtrack fürs erste Date. Je mehr Jazz aber zum Kultobjekt einer ganz eigenen Community (jener der Jazzhörer nämlich) wurde, desto weniger waren Frauen Teil dieses Kreises. Das hat viele Gründe, von denen einer der Jazzclub sein mag, in dem auf unterschiedlichste Art und Weise Geschlecht markiert und zwischen den Geschlechtern vermittelt wurde. Hier mutierte der Jazzfan zum sprichwörtlichen Briefmarkensammler, der statt seltener Marken Platten oder Livemusikerlebnisse sammelt, der sich durch das Wissen um die Musik im Männerbündnis der anderen Sammler und Experten positioniert, der den Jazzkeller zugleich aber auch (zumindest in den 1950er bis 1970er Jahren) als potentiellen Flirt- oder außerfamiliären Freiraum betrachtet. Wie bei so vielem war die Konzentration männlicher Sammelleidenschaft dabei irgendwann so übermächtig, dass viele der Frauen, sofern sie zu diesem Zirkel überhaupt Zugang fanden, aufgaben, weil es Wichtigeres gibt, sei es – um das Klischee zu bedienen – Familie, Beruf oder aber tatsächlich: die Musik.
Da sind zum dritten die Musiker selbst, die vor allem im homosozialen Umfeld der Männerensembles wirkten. In der Swingära war die einzige Frau auf der Bühne oft genug die Sängerin, die vor allem bei Schlagern zum Einsatz kam und ansonsten vor der Band zu sitzen und schön auszusehen hatte. Der „Canary“ (wie man die Bigbandsängerinnen damals abschätzig nannte) war ein Ausdruck der durch die musikindustrielle Vermarktung von Jazzorchestern festgeschriebenen neuen Geschlechterordnung, nach der Männer die Musiker und Frauen höchstens Sängerinnen, ansonsten vor allem Begleiterinnen der Jazzfans waren. All das wiederum ist eine Reaktion auf die durch Heteronormativität geprägte Gesellschaftsordnung des 20sten Jahrhunderts. Wenn auch der Jazz zu Beginn seiner Geschichte durchaus Verbindungen in ein Milieu besaß, in dem Frauen als Ware betrachtet wurden, so genossen die Musikerinnen in jenen frühen Tagen doch große Wertschätzung. Ab den 1930er Jahren wurden sie auf der Bühne dagegen vermehrt als (immer auch sexuelles) Objekt präsentiert und wurde diese Objekthaftigkeit von Weiblichkeit durch alle die Musik begleitenden Medien tradiert und in einen scheinbaren Gegensatz gesetzt zur überbetonten Subjekthaftigkeit, also dem Alleinstellungsmerkmal musikalischer Individualität, ihrer männlichen Kollegen.
Wo aber stehen wir heute? Die Genderdiskussion ist mittlerweile auch im Jazz angekommen, etwas unaufgeregter als in anderen Bereichen, auch deshalb, weil die gesellschaftlichen Veränderungen eine neue Art von „Normalität“ herstellen, wie es sie vor 20 Jahren so noch nicht gegeben hatte. Kann es vielleicht sein, dass, so wie bi-lingual aufgewachsene Menschen oft nicht wissen, ob sie ein Buch in der einen oder anderen Sprache gelesen haben, Geschlecht und sexuelle Orientierung von Musiker/innen heutzutage kaum mehr Einfluss auf die Rezeption ihrer Musik haben? Das 1996 ins Leben gerufene Mary Lou Williams Women in Jazz Festival wurde 2014 in Mary Lou Williams Jazz Festival umbenannt, weil die Veranstalter den Fokus auf Frauen für zu einseitig hielten: Er implizierte zu oft die Frage, ob dort auftretende Musikerinnen generell oder aber nur „für eine Frau“ großartige Musik machten. „Man muss nicht das Geschlecht dieser wunderbaren Frauen herausstellen“, erklärte eine der Organisatorinnen. „Talent ist Talent ist Talent.“ Und als 2014 das OutBeat Festival in Philadelphia ein Programm um Musikerinnen und Musiker strickte, die sich der LGBTQ-Community zugehörig fühlten, murrten beide Seiten auf: Einige der auftretenden Künstler wollten nicht einzig durch ihre sexuelle Orientierung definiert werden; einige nicht schwul-lesbische Musiker kritisierten: Seit wann ist schwul oder lesbisch ein musikalisches Qualitätskriterium? Die einzige transsexuelle Künstlerin des Events, die Bassistin Jennifer Leitham, witzelte in ihrer Ansage: „Was man heutzutage nicht alles tut, um einen Gig zu kriegen!“ Der Pianist Orrin Evans aber, der in Philadelphia an einer der Diskussionsrunden zu Homophobie im Jazz teilnahm, fasste die eigene Haltung und die der meisten Kolleg/innen seiner Generation lapidar zusammen, als er auf die Frage, wie er es mit schwulen oder lesbischen Musiker/innen in seiner Band halte, antwortete: „I don’t care whom you’re screwing… as long as you’re screwing somebody.“ Musik, will er damit sagen, handelt nun mal vom Zwischenmenschlichen; sie ist nichts für Eremiten.
Die Zeit männlicher Dominanz im Jazz und in der Reflektion über Jazz ist noch nicht vorbei. Immer noch gibt es sehr viel mehr männliche als weibliche Booker bei Clubs oder Festivals, Professoren an Hochschulen, Jazzredakteure an den Öffentlich-Rechtlichen Sendern. Musiker/innen und wissenschaftliche Studien suggerieren, dass es auch im Spielen, beispielsweise in Jam Sessions, Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Musiker/innen gibt. Das biologische Geschlecht aber, erklärt Judith Butler, ist keine fixe Größe dessen, was man ist oder was man hat, sondern höchstens ein Teil des Prozesses, durch den Weiblichkeit oder Männlichkeit im augenblicklichen gesellschaftlichen Diskurs markiert wird. Die Welt ändert sich, und mit ihr ändert sich auch die Wahrnehmung künstlerischer Rollenzuschreibungen. Der Blick zurück wird vielleicht noch lange die Verklärung von Männerbünden als zentrales Narrativ im Blick behalten – zu eingebrannt ist diese in die Erinnerung der Jazzgeschichte. Dieser männliche Blick auf die Historie lässt sich auch nicht einfach dadurch ändern, dass man den Fokus auf die Frauen im Jazz richtet. Vielmehr ist es wichtig, über Jazz aus der Perspektive von Musikerinnen nachzudenken. Vor allem aber, regte Sherrie Tucker beim Darmstädter Jazzforum über „Gender and Identity in Jazz“ im letzten Jahr an, gehe es beim Thema „Gender“ darum, vielleicht über das Thema „Frauen im Jazz“ zu sprechen, tatsächlich aber „Vielfalt im Jazz“ zu meinen. Einer solchen Haltung sind wir immerhin näher als je zuvor: Die Maskulinitätsästhetik des Jazz löst bereits in der Gegenwart höchstens noch Kopfschütteln aus; in der heutigen Generation von Jazzmusiker/innen geht es vor allem um … Musik.
Wolfram Knauer (September 2016)
Weiterführende Literatur:
Sherrie Tucker: A Feminist Perspective on New Orleans Jazzwomen, 2004. https://www.nps.gov/jazz/learn/historyculture/people.htm
Nichole T. Rustin & Sherrie Tucker: Big Ears. Listening for Gender in Jazz Studies, Durham/NC 2008 (Duke University Press)
Gender and Identity in Jazz, herausgegeben vom Jazzinstitut Darmstadt, Hofheim 2016 (Wolke Verlag: Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung, Band 14)